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Nr. 206
Aufzeichnung v. Mackensens über Verhandlungen zur Rückführung des Kronprinzen. 3. Juli 19231
Heute vormittag suchte mich Major von Müldner auf, um bei dem Herrn Reichsminister für die nächsten Tage eine Unterredung zu erbitten. Er entwickelte bei dieser Gelegenheit in großen Zügen die Pläne und Absichten des Kronprinzen hinsichtlich seiner eventuellen Rückkehr nach Deutschland: Er, Müldner, sollte seinen jetzigen Aufenthalt in Deutschland dazu benutzen, um dem Herrn Reichskanzler persönlich einen förmlichen Antrag des Kronprinzen an die Reichsregierung auf Genehmigung seiner Rückkehr zu überreichen. Der Antrag werde so gefaßt sein, daß die Regierung nicht in die Zwangslage komme,[618] auf ihn von heute auf morgen entscheiden zu müssen. Der Kronprinz werde vielmehr mit einer Antwort nach einer angemessenen Frist – Herr von Müldner sprach von etwa zwei Monaten – zufrieden sein.
Herr von Müldner beabsichtigt, die Audienz beim Herrn Reichskanzler für Ende dieser oder Anfang nächster Woche zu erbitten, um Gelegenheit zu haben, vorher die Mitglieder des Reichskabinetts aufzusuchen und über die Ideen des Kronprinzen in großen Zügen zu informieren2. Bei dem Herrn Reichswehrminister sei er bereits gewesen und habe bei ihm die denkbar beste Aufnahme und volles Verständnis gefunden. Auch den Herrn Reichspräsidenten habe er aufgesucht, ihn jedoch verhindert gefunden, ihn persönlich zu sehen. Regierungsrat Walther habe ihm im Auftrage des Herrn Reichspräsidenten mitgeteilt. der Herr Reichspräsident habe seiner Stellungnahme vom Frühjahr nichts hinzuzufügen3.
Im allgemeinen glaubte Herr von Müldner die Aussicht des oben erwähnten förmlichen Antrags günstig beurteilen zu können. Insbesondere hoffte er, bei den Herren Reichsministern von Rosenberg, Becker und Heinze besonderes Verständnis zu finden. Auch der Reichsminister Oeser solle, wie er gehört haben will, unter Umständen für den Antrag zu haben sein4. Den Herrn Reichsminister Hermes wird Herr von Müldner voraussichtlich nicht aufsuchen.
Ich habe Herrn von Müldner zunächst auf diesen den Antrag betreffenden Teil seiner Ausführungen erwidert, daß es mir fern läge zu bezweifeln, daß mindestens ein Teil der Herren Reichsminister der menschlich tief beklagenswerten Lage des Kronprinzen volles Verständnis entgegenbringen werde. Ich hielte es jedoch für meine Pflicht, ihn davor zu warnen, daraus optimistische Rückschlüsse auf die Haltung des Kabinetts einem solchen Antrage gegenüber zu ziehen. M. E. sei in dem gegenwärtigen Momente äußerster Spannung keine Regierung in der Lage, einem solchen Antrage stattzugeben. M. E. schiene es auch den Interessen des Kronprinzen selber geradenwegs zuwiderzulaufen, wenn er etwa selbst durch einen Schritt, der schließlich doch nur seinem eigenen Interesse dienen solle, die Explosion im Innern herbeiführe. Irgendein Zweifel, daß diese Gefahr bestehe, sei nach meiner Überzeugung ausgeschlossen. Der von Herrn von Müldner genannten Frist von etwa zwei Monaten könne ich eine Bedeutung nur dann beimessen, wenn sie ausreiche, um die Dinge in jenes Stadium reifen zu lassen, das ich Herrn von Müldner bereits im Frühjahr als Grundlage für eine Genehmigung der Regierung zur Rückkehr bezeichnet[619] habe. Nach Lage der Dinge schiene es mir aber durchaus unwahrscheinlich, daß zwei Monate ausreichen würden, um eine Lösung herbeizuführen.
Herr von Müldner kam im weiteren Verlaufe der Unterhaltung auf die Entwicklung zu sprechen, die der Kronprinz der Angelegenheit für den Fall geben wolle, daß das Kabinett seinen Antrag ablehnen müsse. Er sei in diesem Falle entschlossen, von dem ihm durch das Gesetz zum Schutze der Republik gegebenen Rechte Gebrauch zu machen und die Entscheidung des Staatsgerichtshofs anzurufen. Die Aussichten auch dieses weiteren Schrittes beurteilte Herr von Müldner günstig. Ich erwiderte ihm, daß ich über die rechtliche Lage und damit über die Möglichkeit eines solchen Schrittes ebensowenig orientiert sei wie über seine Aussichten5.
Als Gesamteindruck möchte ich betonen, daß alle Ausführungen Herrn von Müldners lediglich von dem Wunsche diktiert schienen, der gegenwärtigen Reichsregierung gegenüber mit ganz offenen Karten zu spielen und sie nicht vor Überraschungen zu stellen. Die Absicht irgendwelcher Drohungen schien ihm nach meinem Empfinden völlig fernzuliegen.
Herr von Müldner erwähnte schließlich ganz vertraulich, daß er die Frage gelegentlich seiner jetzigen Anwesenheit in Berlin auch mit Vertretern der Presse erörtern wolle und bemerkte in diesem Zusammenhange mit der ausdrücklichen Bitte, dies nur dem Herrn Reichsminister gegenüber zu erwähnen, daß er gestern eine lange Unterhaltung mit Theodor Wolff gehabt habe, bei dem er nicht nur volles Verständnis, sondern auch eine große Hilfsbereitschaft gefunden habe.
Mackensen
Fußnoten
- 1
Die Aufzeichnung v. Mackensens, des persönlichen Referenten v. Rosenbergs, wurde am 6. 7. vom RAM dem RK zugeleitet und von diesem am 6. 7. abgezeichnet. In der Begleitnotiz v. Rosenbergs heißt es: „Ich habe heute Herrn von Müldner empfangen, der sich mir gegenüber in der gleichen Weise aussprach, wie dies in der Anlage wiedergegeben ist. Er wird sich demnächst wegen eines Empfanges beim Herrn RK mit Herrn von Bibra unmittelbar ins Benehmen setzen.“
- 2
Der Versuch Müldners, am 18. 7. den RK zu sprechen, scheitert; ebenfalls ein zweiter Versuch am 11. 8., so daß erst unter Stresemann eine Aussprache mit dem RK zustande kommt. Am 18. 8. übersendet Müldner den angekündigten formellen Antrag des Kronprinzen an Stresemann (R 43 I/2204, Bl. 277; 278 f.).
- 3
Diese Stellungnahme des RPräs. war in den Akten der Rkei nicht zu ermitteln.
- 4
Am 7. 3. hatte Oeser in einem Schreiben an v. Rosenberg erklärt: „Ich bin der Ansicht, daß die gegen die Einreise des Kronprinzen bestehenden Gründe zur Zeit noch fortbestehen. Im Augenblick würde die Rückkehr des Kronprinzen zu schweren innerpolitischen Auseinandersetzungen führen und eine ernste Gefahr für die Einheitlichkeit der Abwehr des Einbruchs in das Ruhrgebiet bilden. Sie würde auch die außenpolitische Lage wesentlich erschweren.“ (R 43 I/2204, Bl. 239). Mit Schreiben vom 19. 3. hatte v. Rosenberg sich den Ausführungen Oesers angeschlossen und hinzugefügt: „Im übrigen darf ich bemerken, daß der Kronprinz kürzlich durch einen Bevollmächtigten an mich herangetreten und im obigen Sinne unterrichtet worden ist.“ (R 43 I/2204, Bl. 242).
- 5
In einer vertraulichen Aufzeichnung des RIMin. über die Rechtslage, die Oeser am 7. 3. abschriftlich der Rkei übersandt hatte, heißt es dazu: „Übrigens kann der Anspruch auf Ausstellung eines Passes auf gerichtlichem Wege nicht erzwungen werden; wird der Paß von der Behörde verweigert und dies von dem vorgesetzten Minister gebilligt, so kommt höchstens die Vorschrift der Verfassung über die Entziehung des Vertrauens durch den RT bzw. die Anklage beim Staatsgerichtshof wegen Verletzung gesetzlicher Bestimmungen – die aber nach Vorstehendem nicht vorliegt – in Betracht.“ (R 43 I/2204, Bl. 240 f.).