Text
Nr. 189
Der Badische Staatspräsident an den Reichskanzler. Karlsruhe, 15. Juni 1923
[Betrifft: Sabotageakte in Baden]
Sehr geehrter Herr Reichskanzler!
[…]1
Die geschilderten Vorgänge haben der Badischen Regierung zu einer Beratung Anlaß gegeben, deren Ergebnis ich mir gestatte im folgenden mitzuteilen:
Die Entsendung von Sprengkommandos in das besetzte badische Gebiet und die Vornahme von Sprengungen daselbst können, wie die Dinge liegen, nicht lediglich unter dem Gesichtspunkt beurteilt werden, daß es der Reichseisenbahnverwaltung freistehe, an ihren Anlagen Beschädigungen vorzunehmen. Denn die Sabotageakte üben naturgemäß eine weitreichende politische Wirkung aus. Nach der Verordnung Nr. 162 der Interalliierten Rheinlandkommission,[569] welche vom Oberbefehlshaber der alliierten Armeen als im Einbruchsgebiet anwendbar erklärt ist, werden die Bürgermeister und sonstigen Behörden für Sabotageakte straf- und zivilrechtlich verantwortlich gemacht. Auch ist, abgesehen von dieser Verordnung, damit zu rechnen, daß die Franzosen Sabotageakte mit Repressalien beantworten und dabei auch besondere Maßnahmen, die das Land Baden treffen, ergreifen werden. Angesichts dieser hochpolitischen Seite der Angelegenheit muß die Badische Landesregierung darauf dringen, daß von einer Reichsbehörde nicht ohne vorheriges Benehmen mit ihr aktive Maßnahmen zur Behinderung des feindlichen Bahnbetriebs angeordnet werden. Im übrigen hält die Badische Regierung dafür, daß Sprengungen an den Bahnstrecken im besetzten bad. Gebiet keineswegs zweckmäßig sind. Die in Betracht kommende militarisierte Bahnstrecke Offenburg – Kehl ist so kurz und der darauf stattfindende Verkehr so gering, daß die aus einem Sabotageakte der Bevölkerung des besetzten Gebiets und dem ganzen Lande drohenden Nachteile und die daraus für die Abwehr sich ergebenden Vorteile in gar keinem Verhältnis zueinander stehen. Die Badische Landesregierung muß deshalb dahin Stellung nehmen, daß irgendwelche aktiven Maßnahmen gegen den militarisierten Bahnbetrieb im badischen Gebiet unterbleiben möchten. Außerdem kommt in Betracht die betrübende Tatsache, daß hinter diesen Aktionen die Reichswehr steht, welche, wie hier bekannt ist, immerfort Anstrengungen macht, um Leute zur Ausführung von Sabotageakten zu werben. Es will damit doch wohl eine Verschärfung der Lage erzielt werden, aus welchem Zustand man sich dann die Erzwingung bestimmter politischer Ziele erhofft2.
Ich bitte Sie, Herr Reichskanzler, als den verantwortlichen Leiter der Reichspolitik, sämtlichen in Betracht kommenden Reichsressorts die bündige Anweisung geben zu wollen, daß Sprengkommandos nach den besetzten badischen Gebieten nicht mehr entsandt und auch nicht unmittelbar oder mittelbar von Reichsbehörden Aufträge zu Sprengungen in diesem Gebiet erteilt werden. Für eine tunlichst umgehende Mitteilung der von Ihnen getroffenen Entschließung würde ich zu besonderem Dank verbunden sein3.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Remmele
Fußnoten
- 1
Im ersten Teil seines Schreibens berichtet Remmele ausführlich von drei Vorfällen: 1. Am 7. 6. wurde eine Gruppe von sieben Personen festgenommen, die von der Generalbetriebsleitung West zu Sprengungen an Bahnkörpern ausgesandt worden sei. 2. Eine weitere Gruppe, unter ihnen ein Reichswehrleutnant Weber, wurde am 13. 6. festgenommen. Sie gab an, in geheimem Auftrag zu reisen, auch wurden Sprengpatronen bei ihr gefunden. 3. Am Abend des 13. 6. wurde bei Windschlag auf die Bahnlinie Appenweier – Offenburg ein Sprengstoffanschlag verübt, der von den Franzosen mit der Verhaftung des Bgm. von Windschlag, Verhängung von Geldstrafen u. a. Repressalien beantwortet wurde. Unmittelbar nach dem Anschlag verhaftete die Gendarmerie vier Studenten, die im Besitze einer Pionier-Sprengvorschrift waren, die Tat aber ableugneten. Die Untersuchung gegen sie schwebe. Als Drahtzieher sei ein Hauptmann a. D. Damm festgestellt worden, der mit der illegalen Rechtsbewegung zusammenarbeite.
- 2
In einem 2. Schreiben vom 15. 6. trägt Remmele dazu nach: „Da nach dem jetzigen Stand der Untersuchung als Urheber dieser Sprengung der den Gerichtsbehörden wegen seiner rechtsorientierten Putschumtriebe seit Jahren bekannte Hauptmann a. D. Damm in Heidelberg und der Leutnant Weber vom 5. Wehrkreiskommando in Frage kommen, bleibt der Badischen Regierung keine andere Möglichkeit, als durch Gerichtsentscheid feststellen zu lassen, ob denn in der Tat entgegen allen Versicherungen der RReg. die Reichswehr das Recht hat, unter Verletzung der Staatshoheit der Länder und ohne jede Verantwortung solche Umtriebe zu inaugurieren. Man gewinnt immer mehr den Eindruck, daß die Reichswehr es gar zu gerne zu militärischen Aktionen gebracht haben möchte. Gewissenlos werden auf diese Weise in Baden durch solches Spiel deutsche Bürger den schwersten Bedrückungen durch das französische Militär überantwortet, ohne daß dabei der deutschen Sache irgendein Dienst erwiesen werden kann. Solcher Sinnlosigkeit wird die Badische Regierung mit Energie entgegentreten.“ (R 43 I/213, Bl. 252 f.).
- 3
Eine Abschrift der beiden Schreiben vom 15. 6. sendet Remmele auch an den RPräs., der handschriftlich dazu am 18. 6. vermerkt: „Der Standpunkt der badischen Regierung ist m. E. ganz gerechtfertigt. Bitte den Herrn RK um Bericht ersuchen.“ Meissner wiederholt diese Bitte mit offiziellem Schreiben vom 18. 6. (R 43 I/213, Bl. 256). Die Antwort Cunos an Remmele ergeht am 19. 6. (Dok. Nr. 198).