Text
Nr. 40
Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler, 11. Januar 1923
[Betrifft: Beteiligung Preußens an den Entscheidungen der Reichsregierung]
Die Ereignisse der letzten Tage geben mir Veranlassung bei Ihnen, Herr Reichskanzler, namens der Preußischen Regierung wegen nicht genügender Beteiligung Preußens bei den Verhandlungen der Reichsregierung vorstellig zu werden. Bei der klaren Sachlage bedarf es meines Dafürhaltens keines besonderen Hinweises darauf, daß Preußen, welches durch die Maßnahmen der Franzosen und Belgier neben dem Reiche am unmittelbarsten und schwersten betroffen und in seinem Bestande bedroht wird, das allergrößte Interesse daran hat, in jeder Phase der Abwehr seinen Lebensnotwendigkeiten entsprechend[132] beteiligt zu werden und bei den Entschließungen der Reichsregierung mitzuwirken. Daß das in der letzten Zeit nicht immer in der von Preußen zu fordernden Weise geschehen ist, bedarf keines besonderen Nachweises. Es mag seinen Grund darin haben, daß sich die Ereignisse gedrängt und überstürzt haben. Gleichwohl muß ich dringend und mit dem durch die Situation gebotenen Ernste bitten, die Preußische Regierung nunmehr zu allen Verhandlungen im Reiche heranziehen zu wollen, bei denen Preußens Schicksal in Frage kommt. Ich darf wohl als sicher annehmen, daß meine Anregung auch Ihren Intensionen entspricht und daher der Überzeugung Ausdruck geben, daß es nur dieses Hinweises bedarf, um ein gedeihliches Zusammenwirken von Reich und Preußen in dieser Stunde gemeinschaftlicher Not und Gefahr zu gewährleisten. Ich gestatte mir den ergebensten Vorschlag, zu Chefbesprechungen künftig auch die preußischen beteiligten Ressorts und zu entscheidenden Kabinettssitzungen das Preußische Kabinett zuziehen zu wollen.
Abschrift habe ich den Herren Reichsministern übersandt1.
Braun
Fußnoten
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Der RK stimmt in seiner Antwort vom 12. 1. dem PrMinPräs. zu, „daß ein gedeihliches Zusammenwirken von Reich und Preußen in dieser Stunde gemeinschaftlicher Not und Gefahr dringend notwendig ist. Mit Ihnen lege ich deshalb den größten Wert darauf, daß die preußische Staatsregierung fortlaufend und möglichst frühzeitig unterrichtet und, wenn es sich um schwere Entscheidungen für den Bestand Preußens handelt, auch zu gemeinsamer Beratung möglichst Raum gegeben wird. Die geeignete Verbindung wird für den Regelfall durch die Beteiligung des Herrn StS Göhre an den Sitzungen des Reichskabinetts gesichert. Zu meinem Bedauern ist bei einigen nicht förmlichen Kabinettssitzungen die Einladung an Herrn StS Göhre unterlassen worden. Immerhin ist eingehende Unterrichtung der preußischen Ressorts noch vor der endgültigen Beschlußfassung des Reichskabinetts nachgeholt worden. Je nach Lage der Sache wird besonders auch bei Chefbesprechungen die Teilnahme der preußischen Ressorts ermöglicht und erbeten werden, schon um die sofortige Ausführung der in gemeinsamer Beratung gefundenen Entscheidung zu sichern. In welchem Umfange bei entscheidenden Beratungen des Reichskabinetts das preußische Kabinett zugezogen werden soll, darüber darf ich mir zweckmäßig wohl unmittelbare Verständigung mit Ihnen, Herr MinPräs., vorbehalten.“ (R 43 I/203, Bl. 124 f., 1313 und 2284). Bei den folgenden Kabinettsberatungen im Jan. und Febr. ist regelmäßig mit Ausnahme der Sitzung vom 27. 2. ein pr. Vertreter beteiligt, relativ häufig werden auch pr. Minister hinzugezogen. Im März und April nimmt dagegen nur selten ein pr. Vertreter an den Kabinettssitzungen teil, in der Folgezeit wieder häufiger.