Text
Nr. 44
Besprechung in der Reichskanzlei. 14. Januar 1923, 18 Uhr
Anwesend: Cuno, v. Rosenberg, Becker mit StS Trendelenburg und Reichskohlenkommissar Stutz, Hermes mit StS Zapf und MinDir. v. Brandt; [StS Hamm]1.
Ergebnis:
1) | Der Reichskohlenkommissar drahtet an die Zechen: „Unter Bezug auf Besprechung der französischen industriellen Ruhrkommission mit Zechenbesitzern2 verbiete ich mit Rücksicht auf französischen[146] und belgischen Einbruch ins Ruhrgebiet hiermit ausdrücklich die Lieferung von Kohle und Koks an Frankreich und Belgien auch für den Fall der Bevorschussung oder Bezahlung durch diese Staaten. Reichskohlenkommissar Stutz.“3 |
2) | Behandelt wird die Frage der Mitwirkung von Eisenbahn und Post4. |
3) | Besprochen wird das Verhalten des Regierungspräsidenten Grützner von Düsseldorf bei der Besprechung zwischen den französischen Kommissaren und den Industrievertretern am 12. Januar5. |
Fußnoten
- 1
Das Protokoll ist von Hamm unterzeichnet, der also offenbar an der Besprechung teilgenommen hat.
- 2
Am 13. 1., 10 h, war es in Essen auf Ersuchen der Franzosen und unter Leitung des frz. Inspektors für die Bergwerke, Coste, zu einer Besprechung mit Vertretern der Zechen gekommen. Fritz Thyssen erklärte dabei als Sprecher der dt. Industriellen, daß der Reichskohlenkommissar sämtlichen Zechen mitgeteilt habe, daß Deutschland sich aufgrund des Ruhreinbruchs nicht mehr in der Lage sehe, Reparationslieferungen an Frankreich und Belgien zu bezahlen (Schreiben des Reichskohlenkommissars vom 11. 1. in ‚Ursachen und Folgen‘, Bd. V, S. 22 f.). Damit sei die weitere Lieferung von Reparationskohlen für die Zechen unmöglich. Dagegen seien die Zechen bereit, bei entsprechender Vorauszahlung Kohlen an Frankreich und Belgien gegen Bezahlung zu liefern, sofern nicht entgegenstehende Verfügungen des Reichskohlenkommissars erlassen werden. Diese Auffassung der Zechen wird Coste in einer entsprechenden Erklärung schriftlich dargelegt. In einer weiteren Erklärung finden sich die Zechen bereit, unter den gegebenen Voraussetzungen am 15. 1. die Lieferungen gegen Barzahlung wieder aufzunehmen. Am 15. 1. sollen die Besprechungen mit einer Kommission fortgesetzt werden, um die Mengenfrage zu klären (10seitiges Protokoll der Besprechung in R 43 I/203, Bl. 244-249; gekürzt abgedruckt bei Spethmann: 12 Jahre Ruhrbergbau, Bd. III, S. 62 ff.).
- 3
Diese Anweisung wird telegrafisch am 14. 1. an die Zechen gegeben und mit Schreiben vom 16. 1. bestätigt. In einem Zusatz des Schreibens wird außerdem darauf hingewiesen, daß Zuwiderhandlungen mit Gefängnis bis zu 1 Jahr und Geldstrafe bis zu 100 000 M bestraft werden (R 43 I/205, Bl. 189). Aufgrund dieser Anweisung des Reichskohlenkommissars lehnen die Industriellen in der Besprechung vom 15. 1. jede Kohlenlieferung kategorisch ab und beziehen sich auf ihren Vorbehalt in der Besprechung vom 13. 1. Der frz. Vors. Aron erteilt ihnen daraufhin den Befehl, die Lieferungen umgehend wieder aufzunehmen, doch lehnt Thyssen im Namen aller ab (Protokoll bei Spethmann a.a.O., S. 71 ff.). RWiM Becker wird sogleich telefonisch von Vögler über den Verlauf der Sitzung informiert. Er vermerkt über das Telefonat u. a.: „Die Ruhrindustriellen sind weiter entschlossen, den äußersten passiven Widerstand zu leisten. Dabei sei große Erregung darüber entstanden, daß die Eisenbahn die Truppenbeförderungen durchführe. Die Kohlenindustriellen verstehen nicht, warum sie den Kopf ins Loch stecken sollen, während die Eisenbahn absolut gefügig den Anordnungen der Besatzungsbehörde folge. Es sei bekannt, daß die Franzosen zahlreiches Eisenbahnpersonal, insbesondere Lokomotivführer bereit haben, um den Betrieb zu übernehmen. Herr V. ist der Ansicht, man solle die Franzosen den Betrieb übernehmen lassen, dann wäre in ganz kurzer Zeit der ganze Betrieb gestört. Die Arbeiterschaft sei ruhig und arbeite fleißig.“ (R 43 I/203, Bl. 294).
- 4
Am 10. 1. war in einer Besprechung im RVMin. von den beteiligten Ressorts der passive Widerstand für die RB abgelehnt worden (Dok. Nr. 38). Am 16. 1. beschäftigt sich das Kabinett mit dieser Frage (Dok. Nr. 45, P. 3).
- 5
RegPräs. Grützner hatte auf Befehl Degouttes zu einer Besprechung ins Essener Rathaus am 12. 1. vormittags eingeladen, an der von frz. Seite die Generäle Denvignes und Simon sowie einige Mitglieder der Ingenieurmission (Micum) teilnahmen, von deutscher Seite Vertreter der Behörden und Industrie. Im Verlauf der Sitzung erklärte Grützner, General Denvignes habe ihn für die Durchführung der beiden frz. Anordnungen über Kohlenlieferungen (abgedruckt bei Spethmann a.a.O., S. 318 und 322) verantwortlich gemacht. Er sei zwar bereit, die Anordnung durchzuführen, doch sei er dazu nicht in der Lage, da die Kohlenverteilung allein dem Kohlensyndikat obliege und die staatlichen Stellen darauf ohne jeden Einfluß seien. Abschließend erhob Grützner gegen alle Maßnahmen der frz. Stellen feierlichen Protest (Bericht über die Sitzung bei Spethmann a.a.O., S. 59 f., Hinweise in R 43 I/203, Bl. 236-238).