Text
Nr. 79
Der Reichsminister des Innern an Staatssekretär Hamm. 19. Februar 1923
[Betrifft: Kommunistische Bewegung]
Die dort eingelaufenen Nachrichten über das Anwachsen der kommunistischen Bewegung stimmen mit den Nachrichten überein, die hier und beim Reichskommissariat für Überwachung der öffentlichen Ordnung in der letzten Zeit eingegangen sind1. Das Anwachsen der kommunistischen Agitation ist m. E. neben der Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Innern vor allem auch auf äußere Einflüsse zurückzuführen. Trotz aller Vorstellungen beim Auswärtigen Amt und bei den Ländern ist ein ungehemmter Zustrom ausländischer Kommunisten nach Deutschland zu bemerken2. Hand in Hand damit werden insbesondere aus Rußland sehr erhebliche Propagandagelder nach Deutschland überwiesen, ohne daß es bisher den Exekutivorganen der Länder gelungen wäre, hier vorbeugend oder durch Beschlagnahme einzugreifen3.
[266] Ich habe mich, veranlaßt durch die gleichen Bedenken, die zu dem dortigen Schreiben Anlaß gegeben haben, wieder und wieder an das Auswärtige Amt mit der Bitte gewandt, mit der Erteilung von Ein- und Durchreisegenehmigungen für ausländische Kommunisten möglichst zurückhaltend zu sein. Ich habe insbesondere auch meine Bedenken gegen die Zulassung des besonders rührigen und gefährlichen Sowjetführers Radek geäußert, der erst kürzlich wieder einen ihm vom Auswärtigen Amt gestatteten Aufenthalt dazu benutzt hat, um sich in Deutschland organisatorisch zu betätigen und in einer Versammlung der Führer der deutschen Kommunistischen Partei zusammen mit der bekannten Ruth Fischer zu sprechen4.
Leider habe ich die Wahrnehmung machen müssen, daß meine Warnungen beim Auswärtigen Amt nicht den Boden finden, den sie nach Lage der innerdeutschen Verhältnisse zu finden verdienten. Unter Voranstellung außenpolitischer Gründe genehmigt das Auswärtige Amt immer von neuem kommunistischen Elementen, namentlich Russen, die Einreise, deren Tätigkeit im Innern Deutschlands [als] verhängnisvoll bezeichnet werden muß. In einzelnen Fällen scheint nach mir vorliegenden Nachrichten das Auswärtige Amt sogar soweit gegangen zu sein, trotz meines ausdrücklichen Widerspruchs Einreiseerlaubnis zu erteilen, ohne die Angelegenheit der Entscheidung der Reichsregierung zu unterbreiten5. Über diese Fälle schweben noch Verhandlungen, die, wie ich hoffe, zu einer Aufklärung des Sachverhalts führen werden. Ich möchte unter diesen Umständen in Anregung bringen, daß der Herr Reichskanzler die gegen das Treiben der Kommunisten geäußerten Bedenken auch dem Herrn Reichsminister des Auswärtigen mitteilt und mich bei meinen Vorstellungen diesem gegenüber unterstützt6.
[267] Um dessen ungeachtet nichts zu unterlassen, was zur Eindämmung der kommunistischen Gefahr und zur Abstellung der vorerwähnten Mängel beitragen kann, habe ich aufgrund des dortigen Schreibens nochmals das Auswärtige Amt gebeten, den Zustrom ausländischer Kommunisten nach Deutschland zu hemmen und die deutschen Vertretungen im Ausland anzuweisen, Anträge ausländischer Kommunisten auf Erteilung der Ein- oder Durchreiseerlaubnis grundsätzlich abzulehnen7.
In einem weiteren Schreiben habe ich die Landesregierungen auf das namentlich durch den Zuzug ausländischer Elemente bedingte bedenkliche Anwachsen der kommunistischen Bewegung nochmals aufmerksam gemacht und sie gebeten, gegenüber ausländischen radikalen Hetzern und Agitatoren in weitgehendem Maße von ihrer Ausweisungsbefugnis Gebrauch zu machen8. Je einen Abdruck dieser beiden Schreiben beehre ich mich zur gefälligen Kenntnis ergebenst beizufügen.
Oeser
Fußnoten
- 1
Mit Schreiben vom 5. 2. hatte Hamm den RIM auf die zunehmende Aktivität der KPD hingewiesen. „Ich bitte ergebenst um Stellungnahme zur Frage, wie dem gefährlichen Treiben vorgebeugt und entgegengewirkt werden soll und wäre bei der Dringlichkeit der Frage, der der Herr RK besondere Bedeutung beimißt, für umgehende Stellungnahme besonders dankbar.“ (R 43 I/2669, Bl. 13).
- 2
Mit Schreiben vom 29.11.22 hatte StS v. Welser StS Hamm über die Bemühungen des RIMin. berichtet, die Einreise ausländischer Kommunisten einzuschränken. Beigefügt war eine kurze Zusammenstellung Kuenzers über die 1922 erteilten Einreisevisa an russ. Staatsangehörige (R 43 I/594, Bl. 17 f.).
- 3
Am 2. 2. berichtete das RWeMin., daß die russ. KP der KPD 100 000 Goldrubel „für die kommunistische Beeinflussung der Ruhrarbeiter“ überwiesen habe, und zwar z. Hd. des Reichsausschusses der Betriebsräte. In einem weiteren Schreiben an StS Hamm vom 19. 2. berichtet Oeser von 51 000 Dollar, die von Moskau aus dem dt. Kommunistenführer Pieck zugeleitet worden seien (R 43 I/2669, Bl. 10-12, 34 f.) und bestätigt im übrigen die Angaben des RWeMin. Der 24seitige Bericht Kuenzers über die kommunistische Bewegung in Deutschland vom 17. 2. spricht demgegenüber von 15 000 Dollar (R 43 I/2669, Bl. 51-74).
- 4
Über Radeks Aktivität in Deutschland schreibt der RIM am 19. 2. an das AA: „Radek, einer der gefährlichsten und tätigsten Agitatoren für die kommunistische Bewegung, hat entgegen einem von ihm gegebenen Versprechen in einer kurz vor Weihnachten in Berlin stattgefundenen Funktionärskonferenz der KPD gesprochen, wie trotz des Versuchs der Ableugnung dieses Vorgangs feststeht.“ (R 43 I/2669, Bl. 36-39, hier: Bl. 36).
- 5
Kuenzer hatte in seiner Zusammenstellung für 1922 vermerkt, daß in 27 Fällen das AA trotz der schwerwiegenden Bedenken des RIMin. Einreisegenehmigungen erteilt habe (R 43 I/594, Bl. 19).
- 6
Am 1. 3. teilt StS Hamm dem RAM mit, daß die Rkei vom RIM über die Sachlage informiert worden sei. „Bei der großen politischen Bedeutung der Frage, die auch in der Kabinettssitzung v. 27. 2. besonders betont wurde [das Protokoll gibt darüber keine Auskunft], wäre ich für eine gefällige Mitteilung, wie bisher verfahren wurde und ob und in welcher Weise das dortige Ressort der Bitte des Herrn RIM stattzugeben gedenkt, dankbar.“ (R 43 I/2669, Bl. 48 f., hier: Bl. 49f). Dazu vermerkt v. Stockhausen am 5. 3.: „Wie GehR Wendschuh AA mitteilte, ist bereits in früheren Zeiten ein Rundschreiben an die Konsulate ergangen, den Kommunisten keine Sichtvermerke auszustellen. Tatsächlich werden jedoch zahlreiche Ausnahmen aus politischen Motiven gemacht. Im Ausland setzen sich vielfach die betreffenden Regierungen für die Durch- oder Einreise der Kommunisten ein, besonders wenn diese, was meist der Fall ist, gleichzeitig Abgeordnete sind. Auch im Inland sind sehr einflußreiche Kreise immer wieder bemüht, den ausländischen Kommunisten Einreiseerlaubnis zu verschaffen. Endlich ist die russische Handelsdelegation stets mit gewichtigen Gründen zur Hand, falls russischen Kommunisten die Einreise verweigert werden soll. Aus der Abt. Rußland erfuhr ich noch, daß der Deutsche Botschafter in Moskau bei Tschitscherin vorstellig geworden sei wegen der russischen Propaganda in Deutschland.“ (R 43 I/2669, Bl. 48 f., hier: Bl. 49f). Am 20. 3. antwortet v. Maltzan: „Das AA hat sich bei der Erteilung der Einreiseerlaubnis für notorische Kommunisten stets von der Erwägung leiten lassen, daß ein dringendes politisches Interesse vorliegen muß, wenn die Genehmigung zur Einreise erteilt werden soll. Es ist außerdem Bedacht darauf genommen worden, in Fällen, in denen der Antrag nicht abgelehnt werden konnte, einmal den Aufenthalt auf das notwendigste Maß durch eine Beschränkung des Sichtvermerks zu begrenzen und ferner die Durchführung einer genauen Überwachung durch Mitteilung an die in Betracht kommenden Aufsichtsbehörden zu ermöglichen.“ (R 43 I/2669, Bl. 128). Im übrigen verweist v. Maltzan auf die Antwort des AA an den RIM vom 24. 2. (s. Anm. 7).
- 7
In seinem Schreiben vom 19. 2. hatte der RIM zunächst die Gefährlichkeit der kommunistischen Propaganda in Deutschland herausgestellt und das AA gebeten, „daß der Zustrom der ausländischen Kommunisten nach Deutschland endlich gehemmt und zu diesem Zwecke die deutschen Vertretungen im Auslande angewiesen werden, alle Anträge ausländischer Kommunisten zur Ein- oder Durchreise nach Deutschland grundsätzlich abzulehnen.“ (R 43 I/2669, Bl. 43-46, hier: Bl. 45). StS v. Maltzan hatte daraufhin am 24. 2. geantwortet, dieser Vorschlag würde die dt.-russ. Beziehungen so einschneidend berühren, daß er sich eine Stellungnahme vorbehalten müsse.