2.239 (cun1p): Nr. 239 Aufzeichnung des Staatssekretärs Hamm zur Devisenlage. 6. August 1923

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Nr. 239
Aufzeichnung des Staatssekretärs Hamm zur Devisenlage. 6. August 1923

R 43 I /2446 , Bl. 102-105 Durchschrift1

Die heutige Devisenhausse ist wahrscheinlich zu einem Teil die Folge des Einbrechens zurückgestauten Devisenbedarfs, der noch dazu aus der Provinz, wo man die Aufhebung des Einheitskurses noch nicht kannte, in einer den Repartierungen entsprechenden unsinnig gesteigerten Höhe angemeldet wurde2.[717] Es wird daher notwendig sein, zwei Tage zu warten. Für den Fall, daß dann noch auf weiteren Bestand und auf Steigen der gegenwärtigen Katastrophenhöhe zu rechnen sein sollte, werden Maßnahmen heute schon erwogen und vorbereitet werden müssen, um den Kurs zu drücken, der in der heutigen Höhe die alsbaldige völlige Valutablockade und Unverkäuflichkeit der deutschen Mark bedeutet, die Flucht aus der Papiermark in die Devisen weiter steigern und auch die Schwankenden, die nun diese Einschätzung seitens der Börsen sehen, von der Anleihezeichnung abhalten wird3.

In Betracht kommen meines Erachtens zwei Maßnahmen, eine einmalige und eine etwas länger dauernde.

Als einmalige Maßnahme wäre zu erwägen die Beschlagnahme der Devisen, d. h. wohl die Beschlagnahme eines bestimmten Prozentsatzes der zu einem bestimmten Zeitpunkt in Hand eines Deutschen oder auch eines Ausländers in Deutschland befindlichen Zahlungsmittel oder Forderungen ausländischer Währung gegen Entschädigung zum amtlichen Kurs des Zeitpunktes der Beschlagnahme4. Hierbei könnte meines Erachtens vorgesehen werden, daß für Devisen, die nicht zu im Interesse der deutschen Wirtschaft notwendigen Zwecken erworben sind (§ 7 der Verordnung vom 8. Mai) ein Abschlag von 25 bis 50% des Beschlagnahmepreises aufgrund einer schiedsrichterlichen Feststellung erfolgt. Das würde auch für die Folge abschreckend wirken können.

Als zweite Maßnahme tritt unter den gegenwärtigen Verhältnissen die Frage einer stärkeren Devisenbewirtschaftung nun in ein anderes Licht. Diese Bewirtschaftung müßte vor allem zum Zwecke haben, alle volkswirtschaftlich nicht unentbehrlichen Devisenanmeldungen auszusondern; solche Devisenanmeldung erfolgt gegenwärtig offenbar im Übermaß. Die Handelskammerbescheinigung wird jedem erteilt, dessen „Gewerbebetrieb Geschäfte regelmäßig mit sich bringt, zu deren Abwicklung Zahlungen nach dem Ausland notwendig sind.“ Jeder kleine Geschäftsinhaber, der ein- oder zweimal im Jahre irgendwelche Fertigware, Rohstoffe oder Hilfsstoffe aus dem Ausland bezieht, erhält daher die Handelskammerbescheinigung. Verweigerungen solcher Bescheinigungen[718] sind, wie die Handelskammern selbst erklären, in verschwindend wenig Fällen vorgekommen. Aufgrund dieser allgemein gegebenen Bescheinigung kann der einzelne weit über den Umfang seines Geschäftsbetriebs hinaus Devisen erwerben, wenn er sich nur darauf verläßt, daß er der Nachprüfung nach § 5 auf die volkswirtschaftliche Berechtigung seiner Devisenanmeldung entgeht5. Die Banken selbst lehnen jede Prüfung ab, da sie sich ihren Kunden gegenüber nicht als Aufsichtsstelle, sondern nur als Beauftragte fühlen. Es könnte erwogen werden, die Handelskammererlaubnis auf einzelne Geschäfte abzustellen. Das wird aber praktisch nicht möglich sein. Es bleibt daher wohl nur die oft besprochene, ebenso oft freilich von Fachleuten abgelehnte Vorprüfung des Devisenbedarfs bei den Reichsbankhauptstellen, denen meines Erachtens zu diesem Zwecke ein kleiner Sachverständigenrat und ein öffentlicher Beamter beizugeben wäre.

Diese Einrichtung kann selbstverständlich nur dann funktionieren, wenn von vornherein durch zwingende Anordnungen ganz große Geschäftszweige von der Anerkennung des volkswirtschaftlichen Bedarfs ausgeschlossen werden. Eine solche Sperre wäre zu verhängen über alle Luxuswaren, Kaffee, Tee, Wein, Früchte, Seide, Fertigwaren aller Art; sie könnte aber auch auf Zeit verhängt werden über an sich notwendige Rohstoffe, in denen Deutschland erfahrungsgemäß überwiegend auf einige Zeit eingedeckt ist. Ausnahmen hiervon wären zuzulassen bei zwingendem Nachweis des sofortigen Einfuhrbedarfs6.

Es wäre auch zu erwägen, ob nicht aus den Kreisen der berechtigtermaßen Devisen kaufenden Industrie heraus selbst eine gewisse Regelung für ihre Geschäftszweige erreicht werden kann. Politisch würde es die vielleicht notwendigen Maßnahmen außerordentlich erleichtern, wenn aus diesen Kreisen erklärt würde, daß sie gegenüber den die Volkswirtschaft beeinträchtigenden unberechtigten Anforderungen eigennütziger Devisenkäufer die Vorprüfung für notwendig halten und von sich aus alles tun würden, um die Reichsbankstellen bei dieser Vorprüfung zu unterstützen. Bei einer solchen Maßnahme würde es sich naturgemäß um einen sehr groben Eingriff in die Wirtschaft handeln. Er wäre aber auch nicht auf lange Zeit gedacht, sondern zunächst nur dazu bestimmt, Luft zu schaffen.

Es bleibt natürlich die Gefahr der Umgehung durch unmittelbare Beauftragung des Auslandes in verdeckter Auftragserteilung. Gelingt es, die führenden[719] Wirtschaftskreise zu freiwilliger Unterordnung unter eine solche Verordnung zu bestimmen, so werden solche Umgehungen nicht in allzu gefährlichem Maße zu befürchten sein; gelingt das nicht, so hat die Regierung das ihre getan.

Notwendig wird hierbei auch sein die Durchführung der vom Reichswirtschaftsministerium geplanten Maßnahmen zur schärferen Erfassung der Ausfuhrdevisen, die aber wiederum eine bisher noch nicht genügend erreichte Anpassung der Reichsbank voraussetzen.

Alle diese Maßnahmen sind an sich wirtschaftswidrig; sie widerstreiten dem eben umrissenen Regierungsprogramm, der Wiederherstellung freierer Beweglichkeit der Wirtschaft7. Sie können daher nur auf kürzeste Zeit wirken8.

Hamm

Fußnoten

1

Vom RK abgezeichnet. Am Rand vermerkt Hamm handschriftlich: „1. Ausarbeitung des Gesetzes zur Änderung des Autonomiegesetzes [der Rbk]. 2. Beigabe von Goldschmidt als ehrenamtl. Devisenbearbeiter der Rbk.Kempner verfügt die Aufzeichnung am 13. 8. zu den Akten.

2

Durch VO vom 4.8.23 (RGBl. I, S. 760 ) war der Einheitskurs für Devisen aufgehoben worden, so daß am 6. 8. erstmalig wieder Devisen im Freiverkehr gehandelt werden durften. Über den Börsenverlauf am 6. 8. berichtet ‚Die Zeit‘ in Nr. 181: „Es war ziemlich wenig Material angeboten, was schon seit längerer Zeit bei der amtlichen Zuteilung der Fall war. Da andererseits die Nachfrage ziemlich groß war, stiegen die Kurse in bedeutendem Maße. Gegen 10 Uhr hörte man den Dollar noch mit 1 350 000 und das Pfund mit 6 800 000. Gegen 11 Uhr war der gesprochene Kurs für den Dollar bereits auf 1 500 000 und für das Pfund auf 7 000 000 hinaufgegangen. Etwas später wurden Kurse von 1 650 000 für New York und 8 000 000 für das englische Pfund genannt. Die amtliche Festsetzung zögerte sich etwas hinaus. Das Pfund wurde dann auf 7 500 000 festgesetzt. Dieses Hochschnellen der Kurse mag darauf zurückzuführen sein, daß infolge der geringen Zuteilung seit dem 22. Juni, dem Tage der Einschränkung des Devisenverkehrs, bis heute die Nachfrage jetzt in verstärktem Maße auftritt, und die Lebensmittel- und Textilindustrie bestrebt ist, sich in möglichst großem Umfange mit ausländischen Zahlungsmitteln zu versorgen. Auch zu Sicherungszwecken, wie z. B. zur Sicherstellung des Getreidebezuges geht man jetzt zum Ankauf von Devisen über.“ Über die Schluß- und Nachbörse vom 6. 8. heißt es: „Gegen 2 Uhr erreichte der Dollar den Stand von 1 850 000 M. Der Handel in Devisen bewegte sich ohne Beteiligung der Banken in vollkommen unkontrollierbaren Bahnen.“ (‚Die Zeit‘ Nr. 182).

3

Tatsächlich setzt sich die Devisenhausse an den folgenden Tagen fort. Bei völliger Passivität der Banken werden am 7. 8. die amtlichen Notierungen für den Dollar auf 3 300 000 M und für das Pfund auf 15 000 000 M bei jeweils 7%iger Zuteilung festgesetzt. Die Verwirrung an der Börse verstärkt sich noch weiter, so daß es am 9. 8. völlig unmöglich ist, einen einheitlichen Freiverkehrswert zu nennen. Der Dollarkurs schwankt teilweise zwischen 3 und 5 Mio M.

4

MinR Kempner hatte bereits am 4. 7. neben der Beschränkung der Zahl der Devisenbanken als zweite kurzfristige Maßnahme die Beschlagnahme von Valutaeffekten und offenen Devisenbeständen vorgeschlagen und dazu erklärt: „Diese Maßnahme sollte man sich aber für den Fall der letzten entscheidenden Not aufheben. Wird es einmal notwendig und verspricht sie mindestens einen gewissen Erfolg, so sollte sie aus Gründen allgemein politischer Art meines Erachtens besser von einem bürgerlichen Kabinett als von einem sozialistischen vorgenommen werden.“ (R 43 I /2445 , Bl. 264).

5

§ 5 der VO vom 8.5.23 (RGBl. I, S. 276 ).

6

Rigorose Einfuhrbeschränkungen und Devisenbeschlagnahme schlägt auch der bad. MinPräs. Remmele vor. Er telegrafiert am 6. 8. an den RK: „Die nach Aufhebung der Devisenverordnung vom 22. 6. eingetretene neuerliche starke Erhöhung der Devisenkurse bringt nach den Erfahrungen letzter Woche in alle Volksschichten neue Unruhe. Anpassung von Löhnen und Gehältern in Privatindustrie kann dem stürmischen Tempo der Erhöhung der Lebensmittelpreise nicht mehr folgen. Fast täglich hier Vorstellungen von Arbeiterdelegationen mit Klagen über Teuerung, ungenügenden Lohn und Mangel an Zahlungsmitteln. Gefahr von Verzweiflungsausbrüchen sozial schwacher Volksteile steigt sichtlich. Ersuche dringend, der Verwendung von Devisen für Einfuhr von Luxuswaren ein Ende zu bereiten und Devisen nur noch für Einfuhr von Lebensmitteln und wichtigsten Rohstoffen für Industrie verwenden zu lassen. Der Beschlagnahme von Devisen und ihrer Verwendung für unentbehrliche Einfuhren kann nicht mehr ausgewichen werden.“ (R 43 I /2446 , Bl. 113-115).

7

Ein derartiges Regierungsprogramm hatte der RK in den Besprechungen mit führenden Wirtschaftlern am 31. 7. und 1. 8. vorgetragen (Dok. Nr. 234, P. 3).

8

Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen kommen unter der Kanzlerschaft Cunos nicht mehr zur Durchführung. StS Hamm erläutert den Stand der Angelegenheit anläßlich der Regierungsübergabe an Stresemann (Dok. Nr. 249).

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