2.22 (cun1p): Nr. 22 Der Preußische Ministerpräsident an den Reichsminister des Auswärtigen 15. Dezember 1922

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Nr. 22
Der Preußische Ministerpräsident an den Reichsminister des Auswärtigen 15. Dezember 1922

R 43 I /203 , Bl. 5-7 Abschrift1

[Betrifft: Rechtswidrige Besetzung deutscher Gebiete]

Mit Schreiben vom 10. v. M. – St. M. III. 28912 – hatte ich auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Frage der widerrechtlichen Besetzung von Düsseldorf und Duisburg-Ruhrort nicht zur Ruhe kommen zu lassen, von allen übrigen Gründen abgesehen, schon nicht mit Rücksicht auf die Stimmung der Bevölkerung[69] im besetzten Gebiet; insbesondere hatte ich auch eine eingehendere Behandlung dieser Frage durch die Pressestelle der Reichsregierung angeregt. Mit einer Antwort bin ich bisher nicht beehrt worden, abgesehen davon, daß der dortige Referent telefonisch einige Bedenken mitgeteilt hat; eine lebhaftere Tätigkeit der Pressestelle wurde dabei in Aussicht gestellt. Ich verkenne nicht, daß es bei der derzeitigen Gesamtlage des Reparationsproblems nicht angebracht erscheinen mag, offizielle Schritte wegen der Aufhebung der Sanktionen von Düsseldorf und Duisburg zu unternehmen. Da aber inzwischen mit der Frage der Ruhrbesetzung sogar eine etwaige Erweiterung der Sanktionspolitik wieder in den Vordergrund der politischen Erörterung gerückt und nicht zu zweifeln ist, daß Frankreich an dieser Absicht grundsätzlich festhält, mag es sie auch vorübergehend aus taktischen Erwägungen ableugnen, so erscheint es mir erforderlich, sobald als möglich in der außerdeutschen Welt die für einen deutschen Angriff auf diese Sanktionspolitik unerläßliche Stimmungslage vorzubereiten. Hierzu gehört in erster Linie die Erschütterung der Rechtsunterlage. In der gesamten Weltpresse wird heute die Frage der Ruhrbesetzung erörtert als eine Angelegenheit der politischen Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit, aber daß eine solche Maßnahme nur unter einem offenbaren Bruch des Versailler Vertrages möglich wäre, davon findet sich in dem Bewußtsein der außerdeutschen Welt kaum eine Spur. Hier hat m. E. die Aufklärungstätigkeit der Reichspressestelle einzusetzen, und zwar sofort. Sie kann sich dabei bekanntlich auf Lloyd George selbst und auf international anerkannte Autoritäten wie Keynes berufen, der aus dem Vertragstext selbst nachgewiesen hat, daß die Besetzung weiteren deutschen Gebietes über das im Vertrage Begrenzte hinaus widerrechtlich ist. Auch der Herr Reichsminister a. D. Dr. Köster hat sehr wertvolles Material beigebracht. Wird die Frage aus dem Gebiet der reinen Politik auf den Boden des Rechts geschoben, so besteht die Hoffnung, dafür einen Widerhall in der Welt zu finden, ja wenn es nur gelingen sollte, die Rechtsfrage in einem Teil der außerdeutschen Presse überhaupt zur Erörterung zu bringen, so würde darin schon ein Vorteil für die deutsche Position zu erblicken sein, denn die jetzt allgemein als klarliegend betrachtete Frage würde dann mit einer Atmosphäre juristischer Zweifelhaftigkeit umkleidet werden. Es ist ja tatsächlich auch eine Unmöglichkeit, daß Deutschland gegenüber auf dem Buchstaben des Diktats rücksichtslos bestanden wird, während die Gegenseite, wenn es zu ihrem Vorteil ist, sich über ihr unbequeme Schranken hinwegsetzt oder nach ihrer Ansicht vorhandene Lücken durch Interpretationskünste auszufüllen sucht. Das aber war die bisherige Praxis, die mit einer etwaigen Ruhrbesetzung ihre Krönung finden würde. Ich darf hervorheben, daß die Preußische Staatsregierung an allen diesen Fragen besonders interessiert ist, da es sich in erster Linie um preußisches Gebiet und bei der sogenannten Pfänderpolitik um preußisches Staatseigentum handelt. Ich darf daher einer baldgefälligen Antwort auf die von mir gegebene Anregung ergebenst entgegensehen3.

[70] Der Herr Reichskanzler und der Herr Reichsminister des Innern haben Abschrift erhalten.

gez. Braun

Fußnoten

1

Dem RK und dem RIM sendet der PrMinPräs. Abschriften unter demselben Datum.

2

Abschriftlich in R 43 I /203 , Bl. 3.

3

MinR v. Bornstedt vermerkt auf diesem Schreiben am 3.1.23: „Das AA verspricht sich nach wie vor von dem von preußischer Seite angeregten Vorgehen nicht viel und hat dies auch einmal mündlich im PrStMin. mitgeteilt. Im übrigen dürfte durch die Rede des Herrn RK in Hamburg [Dok. Nr. 33] dem Wunsche nach Betonung der Forderung auf Räumung von Düsseldorf usw. zunächst Genüge geschehen sein.“

Am 12.12.23 kommt der PrMinPräs. auf dieses Schreiben zurück und erklärt dazu dem RK Marx: „Erst am 23.1.23 habe ich, nach Erinnerungsschreiben vom 18. 1., eine Antwort erhalten. Außer einigen Veröffentlichungen durch WTB kurz vor der tatsächlichen Besetzung des Ruhrgebiets, also zu spät, als daß davon noch eine Wirkung in dem durch das Schreiben vom 15. 12. erstrebten Sinne erhofft werden konnte, war inzwischen in der Rechtsfrage nichts geschehen. Die weitere Entwicklung der Dinge, bei der die Frage der Rechtsgrundlage (der ‚Legalität‘) der Ruhrbesetzung durch Frankreich und Belgien immer mehr in den Vordergrund getreten ist und allmählich zu einer öffentlichen Bestreitung der Legalität durch die englische Regierung und drei der hervorragendsten Unterzeichner des VV (Lloyd George, Smuts, Wilson) geführt hat, zeigt, welche Bedeutung das Schreiben der Preußischen Regierung vom 15. 12. v. J. hätte gewinnen können, wenn die damalige RReg. sich der darin gegebenen Anregung nicht verschlossen hätte.“ (R 43 I /216 , Bl. 225-227). Dagegen macht RAM Stresemann am 9.2.24 geltend, daß „es nicht zweckmäßig erschien, eine eingehende schriftliche Darlegung der gesamten außenpolitischen Lage zu geben“. Daher sei der zuständige Referent des PrStMin., RegR Amelunxen, nur telefonisch informiert worden. Auf das Erinnerungsschreiben vom 15.12.22 hin sei dann „der MinDir. Dr. Nobis im PrStMin. telefonisch über den Inhalt des früheren Telefongesprächs mit dem RegR Dr. Amelunxen genau unterrichtet worden. MinDir. Dr. Nobis hat sich damals (20.12.22) durch die ihm gewordene Aufklärung für befriedigt erklärt, hat auf die schriftliche Beantwortung verzichtet und zugesagt, dem Preußischen Herrn MinPräs. die telefonische Auskunft zu übermitteln.“ (R 43 I /216 , Bl. 245 f.).

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