Text
[608] Nr. 203
Vermerk des Ministerialrats Kempner zur Devisenverordnung. 25. Juni 19231
Betrifft: Stellung der Rheinlande zur letzten Devisenverordnung.
Am Sonntag [24. 6.] vormittag teilte mir die Firma Mendelssohn telefonisch mit, daß sie ein Telegramm aus Köln bekommen hätte, welches im Auszug lautet: „Köln, 23. 6., 32. Sämtliche in Betracht kommende Banken und Bankiers, ferner Bankenvereinigung Rheinlands, Westfalens, einstimmig unterstützt von allen wirtschaftlichen Verbänden beider Provinzen, auch Handelskammer und Börsenvorstand, haben beschlossen und deutsche und preußische Regierung telegrafiert, daß Verordnung unter keinen Umständen anerkennen.“
Der Unterzeichner ist mir nicht bekannt gegeben worden3. Ich sprach darauf mit Exzellenz Becker, der Reichsbank, dem Außenminister und Staatssekretär Schroeder. Es wurde beschlossen:
1. für Montag vormittag in die Reichskanzlei eine Besprechung mit den namhaftesten hiesigen Bankiers einzuberufen, damit diese auf ihre Filialbanken in Rheinland und Westfalen und durch die hiesigen Aufsichtsratsmitglieder auf die übrigen dortigen Banken einen Druck ausüben sollten.
2. für Dienstag eine Besprechung mit Vertretern der Banken, des Handels und der Industrie aus den besetzten Gebieten unter Vorsitz des Kanzlers einzuberufen.
In der Besprechung zu 1) kam die einmütige Auffassung zum Ausdruck, daß die Verordnung unter allen Umständen durchgeführt werden müßte und daß nötigenfalls mit den schärfsten Mitteln vorgegangen werden müsse. Die Reichsbank drohte Kreditsperre und Kündigung der Girokonten an für den Fall, daß die Banken usw. der besetzten Gebiete bei ihrem Standpunkt verblieben4.[609] Vertreten waren Reichswirtschaftsministerium, Reichsfinanzministerium, Reichskanzlei und Reichsbank5; ferner folgende Banken: Mendelssohn & Co., Berliner Handels-Gesellschaft, Mitteldeutsche Creditbank, J. Dreyfus & Co., Kretzschmar, Dresdner Bank, Disconto Gesellschaft, Darmstädter & Nationalbank, S. Bleichröder, Hardy & Co., Deutsche Bank, Delbrück, Schickler & Co., Commerz- und Privatbank.
Zur Besprechung am Dienstag um 5 Uhr nachmittags in der Reichskanzlei sind die Herren der Anlage geladen6. Man ist der Auffassung, daß eine unzweideutige Stellungnahme des Kanzlers genügen wird, um die Sache in Ordnung zu bringen, ohne daß es der Anwendung scharfer Maßnahmen bedürfte. Als solche kämen gegebenenfalls in Frage:
1. | Kreditsperre und Kündigung des Girokontos durch die Reichsbank. |
2. | Artikel in der Presse, Kölnische Zeitung, Frankfurter Zeitung. |
3. | Einleitung von Strafverfahren aufgrund des § 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Devisenhandel zum Einheitskurs. |
4. | Maßnahmen gesellschaftlicher Art, für die gewisse Führer der Fronde sehr empfindlich sind7. |
5. | Einwirkung auf Verbände, wie den Reichsverband der Industrie, keine Mitglieder zu dulden, die gegen deutsche Gesetze und deutsche Interessen verstoßen; aber, wie schon ausgeführt, wird es solcher Maßnahmen wahrscheinlich nicht bedürfen8. |
[610] Wie ich höre, ist heute früh in Köln versucht worden, mit Devisen zu handeln, der Handel ist aber sehr bald gänzlich eingeschlafen. Köln hatte anscheinend schon erfahren, daß die Reichsregierung nicht gesonnen sei, sich das Telegramm vom 23. bieten zu lassen.
Im Reichswirtschaftsministerium werden heute nachmittag Ausführungsbestimmungen zur Devisenverordnung beraten, die mir Dienstag [26. 6.] vormittag zugehen sollen. Das Reichswirtschaftsministerium möchte sie schon Dienstag ins Kabinett bringen. Die Sitzung müßte dann im Anschluß an die Besprechung mit den Herren aus den besetzten Gebieten stattfinden9.
Kempner
Fußnoten
- 1
Der Vermerk ist von MinR Kempner am 25. 6. unterzeichnet worden und handschriftlich mit der Kopfzeile versehen: „Sofort! Herrn Reichskanzler.“, R 43 I/2445, Bl. 218-221
- 2
Es handelt sich um die Devisenverordnung vom 22.6.23 (RGBl. I, S. 401 f.), die am selben Tag vom Kabinett verabschiedet wurde (Dok. Nr. 200).
- 3
In einer Telegrammabschrift sind als Unterzeichner handschriftlich hinzugefügt: Hagen, Pferdmenges. Am 24. 6. erging außerdem folgendes Telegramm Pferdmenges‘ an Becker: „Der Erlaß des RPräs., den Devisenverkehr betreffend, ist für das besetzte Gebiet aus dort bekannten Gründen unausführbar. Das Wirtschaftsleben ist hier durch gewaltsame Einschränkungen aller Art bereits derart unterbunden, daß jede weitere Drosselung unerträglich wird. Sämtliche Banken Rheinlands und Westfalens als Trägerinnen des hiesigen Wirtschaftslebens und im Auftrage und im Einvernehmen mit den führenden Wirtschaftsverbänden der besetzten Gebiete sehen sich außerstande, der VO zu folgen, damit der sichere vollständige Zusammenbruch der Wirtschaft in den besetzten Gebieten verhütet wird.“ (R 43 I/2445).
- 4
Das z. T. unleserliche handschriftliche Protokoll Kempners vermerkt über diese Besprechung u. a.: „Becker: RReg. muß mit allen Mitteln durchführen [die VO]. Herren auf dortige einwirken. Mosler, Disconto: Köln hat auf Banken, Handel und Industrie so eingewirkt. Morgen herrufen! Wassermann: Girokonto entziehen! Industrie führt wohl in Fronde! Glasenapp: Industrie kaum, sie schwieg im RT! Banken sind nicht nur Getriebene, sondern auch Treibende. Großbanken hier müssen Filialen strikt anweisen, VO auszuführen. Zwangsmaßnahmen: Alles muß geschehen! Rbk dazu entschlossen! Kreditentziehung und vielleicht Girokonto entziehen! Wer Erklärung nicht zurücknimmt oder Bewegung fördert, dem sperren wir Kredit. Erwägen auch Giro sperren. Wir fest entschlossen! Mosler: Auf Banken drücken wir. Bei Handel und Industrie können wirs nicht. Das muß Regierung tun, herladen. Auf Privatbankiers können wir es auch nicht. Ritscher: Bankfilialen erhalten Order, VO strikt zu halten. Industrie und Handel: wird kommen. RReg. sehr energisch vorgehen. Goldschmidt: Druck auf Filialen sofort! Schärfste Maßnahmen der Regierung. […] Becker: Kanzler zunächst gütlich zureden morgen.“ (R 43 I/2445, Bl. 215 f.).
- 5
Und zwar durch Becker, StS Trendelenburg; StS Schroeder, RegR Friedrichs; MinR Kempner; RbkVPräs. v. Glasenapp.
- 6
Die Einladungsliste führt auf: Rbk, Rheinische Kreditbank, Bankgeschäft J. H. Stein, Süddeutsche Discontogesellschaft, Handelskammer Düsseldorf sowie namentlich: Langen, Duisberg, Stinnes, Silverberg, Reusch, v. Oppenheim, Hagen, Wolff, Herren, Carp, Karl Haniel, Pferdmenges, Tengelmann, Schäffer (Krupp), Hirschland, Vögler, Sorge, Frowein, Kaufmann, Deichmann, Most, Hasslacher, Bierwes. Davon erscheinen entspr. telegrafischer Mitteilung nicht: die Handelskammer Düsseldorf, Süddt. Discontogesellschaft, J. H. Stein-Bank sowie Reusch, v. Oppenheim, Hagen, Carp, Duisberg und Bierwes.
- 7
Dieser Punkt ist vom RK durchgestrichen worden.
- 8
Über die Sitzung vom 26. 6., 17 h, hat Kempner ein handschriftliches, z. T. unleserliches Protokoll angefertigt, in dem es u. a. heißt: „Pferdmenges: VO wie Donnerschlag gewirkt. Für Banken undurchführbar! Fremde Banken! Im belgischen Gebiet schon Schließung der Banken und Strafen angedroht! Bitte prüfen, ob Möglichkeit für besetztes Gebiet [zu] schaffen, Devisen voll zu erhalten (zu amtlichem Kurs) und bei verspätetem Eingang telegrafisch noch zum entsprechenden Kurse. Kanzler: Mittel, die RReg. zur Durchführung hat, werden unter allen Umständen angewandt werden. Girokonto und Kreditsperre und Presse. Wenn wir Widerstand nicht durchhalten können deswegen, mache ich die Betreffenden namhaft. Glasenapp: Rbk wird alle Mittel anwenden. Wer sich RReg. versagt, dem versagen wir uns. Keine Kredite! Erwägen auch Giroverkehr. Dies aufgrund freier Entschließung. […] Becker: 3 Tage beraten. Trotz schwerer Sorge RReg. es gemacht. Bankiers sagten, Stützungsaktion keinen Zweck, wenn nicht Einheitskurs. Bestimmung kann nicht geändert werden. Hagen wohl in Erregung. Er wird sich wohl überzeugt haben, daß so nicht geht. Überlegen, wie schlimmste Schäden zu vermeiden. Jeder muß Opfer bringen, doch auch wirtschaftlich schwere Nachteile in Kauf nehmen! Hohenemser [Mannheim]: Schlimmstes Übel, wenn Gesetze nicht mehr geachtet werden. Wirtschaftliches Übel trat zurück. […] Herren [Mönchen-Gladbach]: Wir faßten es als letzten Schritt auf! Entschädigungsanträge! 10 000 Anträge, täglich 60 erledigt! Alle Fragen zu langsam in Berlin geregelt! Für Textil besonders schwer! Kaufmann [Düsseldorf]: Importhandel gewiß schwer getroffen. Aber geht nicht anders. Banken verkaufen für Importhandel Mark im Ausland, wenn sie von Rbk nicht alles kriegen. Können wir nicht ertragen! Also Import muß kurz treten, sonst ganze Aktion vergebens! VO nicht für Dauer, sondern Kriegsmaßnahme. […] Herren: Import ist schon bis auf ⅓ eingeschränkt. Wenn uns Arbeit unmöglich wird, kommen Arbeiter auf die Straße. Größere Devisenzuteilung an uns! Vögler: Wenn Ausnahmen für besetztes Gebiet gemacht werden, kauft unbesetztes dort auch! Hier kein Vorschlag gemacht, wie sonst Mark gestützt werden könnte. […]“ (R 43 I/2445, Bl. 212-214). In einem zusammenfassenden Vermerk für StS Hamm gibt Kempner das Ergebnis der Sitzung wie folgt wieder: „In der gestrigen Besprechung mit Vertretern rheinischer Wirtschaftskreise erklärte der Kanzler mehrfach, daß er an der Devisenverordnung unter allen Umständen festhalten und gegen Versuche, sie zu sabotieren, mit allen Mitteln einschreiten würde. Die Rbk bestätigte dem Kanzler, daß sie mit Kreditsperre und eventueller Kündigung der Girokonten vorgehen würde. Die rheinischen Wirtschafter verwarfen übereinstimmend das Vorgehen von Louis Hagen. Sie erbaten Maßnahmen, um die schlimmsten Wirkungen der VO für das Rheinland abzuwenden. Die Regelung wird so erfolgen, daß die maßgebenden Plätze wie Köln, Mainz, Mannheim ihren Devisenbedarf täglich gesammelt an die Rbk telegrafieren und daß diese ihnen Devisen zum Berliner Einheitskurs zur Verfügung stellt, auch wenn die Anmeldungen infolge postalischer Schwierigkeiten verspätet eingehen. Die Rbk wird auch nach Möglichkeit das Rheinland in den zugeteilten Quoten bevorzugen.“ (R 43 I/2445, Bl. 222).
- 9
Die Ausführungsbestimmungen zur VO vom 22. 6 werden am 26. 6. der Rkei zugeleitet (R 43 I/2445, Bl. 233), doch fehlt eine Kabinettsentscheidung darüber. Unter dem 30.6.23 werden sie erlassen (RGBl. I, S. 549). Dagegen wird in der Kabinettssitzung vom 26. 6. eine Verschärfung der Devisenverordnung vom 8. 5. beschlossen (Dok. Nr. 204).