Text
[295] Nr. 92
Erklärung der Reichsregierung über Preisabbau. 6. März 1923
R 43 I/1152, Bl. 84 Pressenotiz1
Gegenüber mehrfach in der Presse geäußerten Zweifeln, ob es möglich sein würde, den durch die Markbesserung eingeleiteten Preisabbau trotz äußerer und innerer Hemmungen erfolgreich weiter durchzuführen, muß mit allem Nachdruck betont werden, daß die Reichsregierung den einmal beschrittenen Weg entschlossen weiterverfolgt2. Die befürchtete Brotpreiserhöhung wird nicht eintreten. Von der zunächst in Aussicht genommenen weiteren Erhöhung der Frachttarife auf den Reichsbahnen wird abgesehen. Untersuchungen sind im Gange, welche eine Verbilligung der wichtigsten industriellen Grundstoffe zum Ziele haben3. Die bisherigen Ergebnisse lassen erkennen, daß eine weitere Erhöhung der Kohlenpreise nicht erfolgen wird. Die für die landwirtschaftliche Erzeugung notwendigen Düngemittel wie Superphosphat und Natronsalpeter sind in diesen Tagen um 10% herabgesetzt worden. Mit der Verbilligung weiterer Düngemittel ist zu rechnen4. Für den durch öffentliche Mittel geförderten[296] Wohnungsbau ist eine Senkung der Baustoffpreise durchgesetzt. Unter diesen Umständen ist zu hoffen, daß der mit der Festigung der Mark eingetretene Preisrückgang der Einfuhrwaren nach und nach auch zur Auswirkung auf den Warenmarkt im übrigen gelangen wird. Soll dieses Ziel erreicht und festgehalten werden, dann ist freilich auch dringend nötig, daß die Preiswelle nicht durch Lohnerhöhungen von neuem in Bewegung gesetzt wird. Erfreulicherweise wächst die Erkenntnis, daß höhere Papierlöhne nicht ohne weiteres eine Verbesserung der Lebenshaltung zur Folge haben, wohl aber immer die Warenpreise weiter steigern. Mögen alle an der Regelung der Lohnverhältnisse Beteiligten daraus die richtigen Lehren ziehen5.
Fußnoten
- 1
Die Erklärung der RReg. war unter dem 6. 3. über WTB vertrieben worden und erschien am 7. 3. in der Morgenpresse. Entwürfe oder maschinenschriftliche Fassungen der Erklärung fehlen in den Akten der Rkei, da diese Erklärung nicht in der Rkei ausgearbeitet wurde, sondern im RWiMin. (vgl. die Feststellungen des Abg. Hertz vor dem RT am 19.4.23, RT-Bd. 359, S. 10630 f.).
- 2
Dem Arbeitgeberverband gegenüber hatte Hamm auf dessen Schreiben vom 28. 2. [s. Anm. 6 zu Dok. Nr. 78] am 3. 3. versichert: „Wie Sie ersahen, ist es der dringende Wunsch der RReg., nun zu einem Festhalten von Preisen und Löhnen zu kommen, und von der Regierung aus wird mit Nachdruck in dieser Richtung gearbeitet werden.“ (R 43 I/1152, Bl. 83).
- 3
Zur Preissituation hatte der Deutsche Industrie- und Handelstag dem RWiM mit Schreiben vom 3. 3. erklärt: „Die Gütertarife der Reichsbahn, die Postgebühren, Kohlenpreise und Kohlensteuer sowie die Brotpreise und die Mieten sind die Hauptfaktoren der Preisbildung, sind am Emporschnellen der Preise wesentlich beteiligt und müssen selbstverständlich ebenfalls ermäßigt werden, wenn ein Abbau der Preise eintreten soll.“ (R 43 I/1152, Bl. 89-91, hier: Bl. 89). In ähnlicher Weise hatte die Handelskammer Berlin den RK am 27. 2. in einem ausführlichen Schreiben darauf verwiesen, daß „einschneidende und auf das gesamte Wirtschaftsleben gleichmäßig wirkende Maßnahmen der Behörden in höchstem Maße der Preisermäßigung geradezu entgegengewirkt haben, indem sie in katastrophaler Weise die Waren zwangsmäßig verteuerten und eine Atmosphäre der Beunruhigung und des Mißtrauens gegenüber der zukünftigen Entwicklung unseres Wirtschaftslebens schufen. Es handelt sich insbesondere um die Erhöhung der Kohlenpreise und der Eisenbahnfrachten, denen sich eine ununterbrochene Kette von Preiserhöhungen aufgrund behördlicher Maßnahmen angeschlossen hat und anschließen mußte. Wir erwähnen von solchen ungefähr gleichzeitigen Maßnahmen nur die Erhöhung der Preise für Brot, Fleisch, Zucker, Spiritus, Gas, Wasser, Elektrizität, Kali, Stickstoff, die umfassende Steigerung der Mieten.“ (R 43 I/1152, Bl. 61-71, hier: Bl. 66f).
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Dazu erklärt der ‚Vorwärts‘ in Nr. 115 am 9. 3.: „Die Kundgebung der Regierung will uns glauben machen, daß gegenwärtig schon ein Preisabbau eingetreten wäre. Das ist eine grobe Irreführung, und es trifft sich gut, daß, während gestern früh die Regierung eine Verbilligung der Düngemittel ankündigt, gestern mittag das Kalisyndikat der Presse mitteilen ließ, daß eine Ermäßigung der Kalipreise unmöglich sei. […] Statt eines wirklichen Preisrückganges sind im Gegenteil auch jetzt noch ziemliche Preissteigerungen zu verzeichnen, und da die Reallöhne gerade in den letzten Wochen noch viel mehr als schon in der vorausgegangenen Zeit gegenüber der Preisentwicklung zurückgeblieben sind, ist das jetzige Eingreifen der Regierung in die Lohnbewegung umso unverantwortlicher.“ Am 26. 2. hatte der ADGB Berlin dem RK ausführlich die Preisentwicklung für Bedarfsgegenstände dargelegt und sich beklagt, daß die RReg. „dieser Auswucherung der breiten Massen des Volkes tatenlos zusieht.“ (R 43 I/1133, Bl. 300-305, hier: Bl. 301). Der Vorstand des ADGB macht sich dieses Schreiben am 9. 3. zu eigen und fordert energische Maßnahmen aufgrund des Art. VI des Notgesetzes. „Die Tatsache, daß trotz der starken Senkung des Dollars auf vielen Gebieten noch immer eine Aufwärtsentwicklung der Preise stattfindet, sollte der RReg. Veranlassung geben, die notwendig erscheinenden Maßnahmen unter keinen Umständen länger hinauszuschieben.“ (R 43 I/1133, Bl. 314).
- 5
Die Linksparteien und die Gewerkschaften reagieren auf diese Erklärung der RReg. außerordentlich scharf. So schließt der „Vorwärts“ am 7. 3. dem Abdruck der Erklärung einen scharf ablehnenden Kommentar an und erklärt außerdem am 9. 3.: „Die Erkenntnis, daß höhere Papierlöhne noch keineswegs eine Verbesserung der Lage der Arbeiter zur Folge haben, ist bei den Gewerkschaften schon seit Jahren vorhanden. Gerade aus diesem Grund haben sie immer wieder gefordert, daß Maßnahmen zu einer Festigung der Preise getroffen werden müßten.“ In seinem Leitartikel vom 10. 3. bringt der „Vorwärts“ die Erklärung der RReg. in Zusammenhang mit der Steuerpolitik der bürgerlichen Parteien in der RT-Sitzung vom 9. 3.: „Zu derselben Stunde, in der die bürgerlichen Parteien bei der Anpassung der Steuern an die Geldentwertung den Besitzenden Vorteile zuwenden, ist ein Kampf darüber entstanden, ob die Geldentwertung bei den Arbeiterlöhnen weiter berücksichtigt werden darf.“ Zu den Reaktionen der Gewerkschaften s. Anm. 3 zu Dok. Nr. 94.