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Nr. 43
Besprechung mit den Ministerpräsidenten der Länder. 12. Januar 1923, 15 Uhr1
Anwesend2: Cuno, v. Rosenberg, Oeser, Hermes, Stingl, Groener, Albert, Becker, Geßler, Luther; StS Hamm, Brugger; MinDir. Meissner, Bumke; MinR Pünder; für Preußen: Braun, Göhre; für Sachsen: Buck, Gradnauer, Schulze; für Thüringen: Frölich, Münzel; für Bayern: v. Knilling, v. Preger; für Württemberg: Hieber, Hildenbrand; für Baden: Remmele, Nieser; für Hessen: Ulrich, v. Biegeleben; für Mecklenburg-Schwerin: Stelling, Tischbein; für Mecklenburg-Strelitz: v. Reibnitz, Hustaedt; für Hamburg: Stolten, Strandes; für Bremen: Donandt, Nebelthau; für Lübeck: Neumann, Meyer-Lüerßen; für Oldenburg: Tantzen, Scheer; für Braunschweig: Jasper, Boden; für Anhalt: Deist; für Waldeck: Schmieding, Sachs; für Lippe-Detmold: Drake, Neumann-Hofer; für Schaumburg-Lippe: Wippermann; Protokoll: RegR v. Stockhausen.
Der Herr Reichsminister des Innern eröffnet die Sitzung. Er bespricht die geplanten Maßnahmen der Reichsregierung gegen den Luxus und die Schlemmerei in öffentlichen Lokalen. Insbesondere geht er ein auf das Schankstättengesetz,[142] auf den Kampf gegen die übermäßige Fremdeneinwanderung und gegen das Wucherer- und Spekulantentum3.
Der Herr Preußische Ministerpräsident geht auf die Stimmung im Innern des Landes ein, der man im gegenwärtigen Augenblick bei jeglicher Art von Gesetzgebung Rechnung tragen müsse. Die Stimmung müsse günstig beeinflußt werden. Er glaube außerdem, daß die Ausführung der Maßnahmen, die die Reichsregierung beabsichtige, auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten stoßen werde.
Der Herr Reichswirtschaftsminister macht Ausführungen über die Kohlenlage, die sich im gegenwärtigen Augenblick durch die Besetzung des Ruhrgebiets verändert habe. Er geht des näheren ein auf die Verlegung des Kohlensyndikats nach Hamburg4. Er erwähnt sodann die großen Gefahren, die der deutschen Wirtschaft drohen würden, wenn die Franzosen Reparationskohle in großem Umfange in Anspruch nähmen. Mit einer erheblichen Erschwerung der Kohlenversorgung sei unbedingt zu rechnen, doch könne er immerhin erwähnen, daß die Kohlenversorgung der Eisenbahn und der sonstigen öffentlichen Betriebe im Augenblick durchaus günstig sei. Die Reparationskohlen würden augenblicklich nicht weitergeliefert. Die Kohle, die von den Franzosen beschlagnahmt würde, würde von uns nicht bezahlt werden. Er geht sodann auf die Steigerung der Kohlenpreise ein und erwähnt, daß eine Preiserhöhung der Kohle von 67½% eintreten müsse. Ferner berichtet er über den beabsichtigten Gesetzentwurf über den Kleinhandel mit unedlen Metallen5.
Der Herr Sächsische Ministerpräsident geht auf die Folgen der Ruhrbesetzung ein. Er ist der Auffassung, daß in absehbarer Zeit eine Änderung unserer schweren Lage nicht eintreten werde. Es sei daher notwendig, eine Politik auf weite Sicht zu treiben und die Kohlenproduktion im unbesetzten deutschen Gebiet auf jede Weise zu heben. Er verweise hauptsächlich auf die großen, noch unausgebeuteten Braunkohlenlager in Sachsen in der Gegend von Leipzig. Im übrigen sei er mit dem Schankstättengesetz und mit den Maßnahmen der Regierung einverstanden. Er fragt an, ob im allgemeinen Interesse nicht eine Beschränkung des Verkehrs der Vergnügungsreisenden auf der Reichsbahn möglich sei.
Der Herr Reichsverkehrsminister geht auf die letzte Anregung des Herrn Sächsischen Ministerpräsidenten ein und erklärt, daß er eine Verkehrsdrosselung – auch des Vergnügungsverkehrs – für schwer durchführbar und nicht wirkungsvoll halte.
[143] Der Herr Thüringische Vorsitzende des Staatsministeriums stellt kurze Anfragen über die Gestaltung der Ernährungslage, der Preise und die Regelung der Erwerbslosenfürsorge.
Der Herr Staatssekretär für die besetzten rheinischen Gebiete geht auf die Frage des Verhältnisses der Beamten, insbesondere der Forstbeamten, im besetzten Gebiete ein. Er glaube, daß es zweckmäßig sei, wenn die Forstbeamten in ihren Stellen verblieben und in gewissem Umfange den Weisungen der Besatzungsbehörden nachkämen. Auf diese Weise könne vielleicht größeres Unheil für unsere Wälder im besetzten Gebiet verhütet werden. Er glaube, daß es den Franzosen durchaus gelegen käme, wenn sie die deutschen Wälder mit ihren eigenen Beamten ausbeuten könnten.
Der Herr Reichskanzler betritt den Saal und macht eingehende Ausführungen über den gegenwärtigen Stand der außenpolitischen Lage6.
Nach ihm berichtet der Herr Reichsminister des Auswärtigen über die außenpolitischen Maßnahmen, die anläßlich der Ruhrbesetzung getroffen wurden. Er geht insbesondere auf die Haltung Englands ein, über die er bemerkt, daß die Stellungnahme der englischen Kronjuristen über den Einmarsch der Franzosen dieselbe sei, wie die der Reichsregierung7 und daß der englische Staatssekretär des Auswärtigen dem deutschen Botschafter gegenüber bemerkt habe, die Haltung der deutschen Regierung sei sehr weise. Er bemerkt alsdann, daß man die Kooperation Italiens im Ruhrgebiet absichtlich in den Hintergrund gestellt habe. Ruhiges und vorsichtiges Verhalten sei für Deutschland im gegenwärtigen Augenblick entsprechend der Stimmung im Auslande immer noch notwendig. Bezüglich der Haltung Amerikas bemerkt er, daß Staatssekretär Hughes in der Frage der Truppenzurückziehung vom Rhein eine etwas schärfere Tonart anschlagen werde. Abschließend geht der Herr Reichsminister des Auswärtigen auf das Verhalten gegenüber den Kontrollkommissionen ein. Die Auskünfte diesen gegenüber müßten grundsätzlich nach wie vor erteilt werden, denn die Kontrollkommissionen seien eine internationale Einrichtung. Wir hätten zudem keine Mittel, die Kontrollkommissionen zu zwingen, ihre Tätigkeit einzustellen8.
[144] Der Herr Bayerische Ministerpräsident gibt die in der Anlage beigefügte Erklärung ab9. Hinsichtlich der Frage der Außenpolitik bemerkte er, daß er die Schwierigkeiten, denen gegenüber sich die Reichsregierung befinde, voll zu würdigen wisse. In der Frage der Kontrollkommissionen fürchte er, daß in Bayern in Anbetracht der Erregung der Bevölkerung sich leicht Zwischenfälle ereignen könnten10. Man müsse die Stellungnahme der Reichsregierung zu dieser Frage in der Presse erörtern.
Der Herr Württembergische Staatspräsident schließt sich der bayerischen Erklärung an. Er hoffe, daß das deutsche Volk die gegenwärtige Belastungsprobe würdig bestehe. Betreffs der alliierten Kontrollkommissionen bemerke er, daß diese in Württemberg ein äußerst verborgenes Dasein führten und daß dort Befürchtungen über Ausschreitungen gegen die Kontrollkommissionen nicht beständen.
Der Herr Preußische Ministerpräsident bezieht sich auf seine Ausführungen im Landtag, die sich auf dem Boden der bayerischen Erklärung bewegt hätten und die seine Übereinstimmung mit dem Verhalten der Reichsregierung zum Ausdruck gebracht hätten11. Er geht sodann des näheren auf das Verhalten der Beamten, insbesondere der Forstbeamten im besetzten Gebiet ein. Gewisse Weisungen an diese Beamten müßten in kürzester Frist erfolgen.
Der Herr Badische Staatspräsident führt aus, die Badische Regierung sei mit dem Verhalten der Reichsregierung einverstanden. Er begrüße die Mäßigung der Reichsregierung und schließe sich im übrigen der Bayerischen Regierung an.
Der Herr Bayerische Ministerpräsident bemerkt zur Beamtenfrage, daß er für das Verbleiben der Forstbeamten im bes. Gebiet eintrete.
Der Herr Sächsische Ministerpräsident nimmt Bezug auf die Erklärung der Sächsischen Regierung im Landtage, die seine Übereinstimmung mit der Auffassung der Reichsregierung zur Geltung gebracht habe12.
[145] Der Herr Präsidierende Bürgermeister von Hamburg erklärt sein Einverständnis mit den Maßnahmen der Reichsregierung.
Der Herr Mecklenburgische Ministerpräsident glaubt namens der kleinen Staaten mitteilen zu können, daß auch diese das Verhalten der Reichsregierung billigten.
Der Herr Thüringische Vorsitzende d[es] Staatsm[inisteriums] stimmte ebenfalls den Ausführungen der Reichsregierung zu.
Der Herr Reichskanzler ergreift sodann nochmals das Wort und geht kurz auf die bereits von dem Herrn Reichsminister des Innern behandelten Fragen der inneren Politik ein.
Der Herr Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft berichtete über die gegenwärtige Ernährungslage. Infolge der Erhöhung des Umlagepreises seien in letzterer Zeit erhebliche Mengen zur Ablieferung gekommen, so daß der Bedarf bis zum Frühjahr gedeckt sei. Wichtig sei augenblicklich die Frage der Vorbereitung der nächsten Ernte. Nach kurzen Bemerkungen des Herrn Thüringischen Vorsitzenden des Staatsministeriums über die Ernährungslage und des Herrn Badischen Ministerpräs[identen] über die Frage der Fremdeneinwanderung sowie des Herrn Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft über seine Eindrücke in Essen wird die Sitzung geschlossen.
Fußnoten
- 1
Die Besprechung geht zurück auf eine telegrafische Einladung des RK vom 9. 1., in der es heißt: „Schwere der kommenden Zeit läßt RReg. das Bedürfnis empfinden, mit Staats- und Ministerpräsidenten der Länder Lage zu besprechen. Erbitte hierzu Erscheinen Freitag, 12. Jan., mittags 3 Uhr, Reichskanzlerhaus.“ (R 43 I/2327, Bl. 175).
- 2
Lt. beigefügter handschriftlicher Anwesenheitsliste.
- 3
RIM Oeser hatte die beteiligten Ressorts am 10. 1. zu einer „Sitzung über Vorlage fertiger Vorschläge zur Frage der Förderung der öffentlichen Moral in der am Freitag stattfindenden Besprechung der MinPräs.“ für den 12. 1., 11 h, eingeladen. Als Beratungsgegenstände wurden genannt: Alkoholfrage; Beschränkung der Branntwein- und Likörabgabe; Einschränkung der Lustbarkeiten, insbes. Tanzdielen; Regelung des Handels mit Altmetall und Edelmetallen; Fremdenpolizei; andere Maßnahmen, die durch den Ernst der Lage geboten sind. Aufzeichnung dieser Besprechung in R 43 I/1493, Bl. 182, hier unter dem 11. 1. datiert; möglicherweise wurde die Besprechung also vorgezogen. Die hier angeführten Maßnahmen sind näher dargelegt im Rundschreiben des RK an die Landesregierung vom 16. 1. (Dok. Nr. 46).
- 7
Am 11.8.23 notifiziert die brit. Reg. gegenüber der frz. und belg. Reg. erstmalig ihre Auffassung zu dieser Frage in aller Deutlichkeit und erklärt u. a.: „Die höchsten juristischen Autoritäten in Großbritannien haben S. M. Regierung davon unterrichtet, daß die Einwendungen der Deutschen Regierung wohl begründet sind, und S. M. Regierung hat niemals ihre Ansicht verhehlt, daß die französisch-belgische Aktion der Ruhrbesetzung, ganz abgesehen von der Frage der Zweckmäßigkeit, keine durch den Vertrag selbst gerechtfertigte Sanktion war.“ (Note vom 11.8.23, abgedruckt in RT-Drucks. 6204, Bd. 379).
- 8
Am 18. 1. kommt es zu einer Aussprache zwischen dem RAM und dem Vors. der IMK, Nollet. In einer Aufzeichnung des RAM heißt es darüber u. a.: „Ich sagte Herrn Nollet, daß wir der IMK das Recht zur Vornahme von Kontrollakten nicht bestritten, daß wir aber im Interesse der Vermeidung von Zwischenfällen nur dringend ersuchen müßten, wenigstens für einige Zeit auf die Ausübung dieses Rechtes zu verzichten. Der General erwiderte, das sei eine ‚question de principe‘ und sei gleichbedeutend mit einem Verzicht auf das Recht. Darüber könne er nicht befinden; die Entscheidung stände der interalliierten Botschafterkonferenz zu. Im übrigen bestritt er, trotz aller eindringlichen Vorhaltungen, daß eine Gefahr von Komplikationen vorliege. Die deutsche Bevölkerung sei so diszipliniert, daß er an die Unvermeidbarkeit von Zwischenfällen nicht glauben könne.“ (R 43 I/416, Bl. 20-25, hier: Bl. 24). Zur weiteren Auseinandersetzung mit der IMK vgl. Dok. Nr. 74, P. 2.
- 9
Die Erklärung des Bayer. MinPräs., die am 13. 1. in der Presse verbreitet wird, lautet: „Wir haben aus dem Munde des Herrn RK und des Herrn Außenministers vernommen, daß die RReg. entschlossen ist, dem schreienden Unrecht, das Frankreich im Widerspruch mit dem Völkerrecht und selbst mit dem Inhalte des Friedensdiktates von Versailles trotz der Warnung einzelner seiner Alliierten über Deutschland nunmehr verhängt, nach Maßgabe der gegebenen Möglichkeiten eine würdige, unbeugsame Abwehr entgegenzusetzen. Diese feste Haltung der RReg. wird, wie wohl in allen deutschen Landen, so auch in Bayern, freudige Zustimmung und Unterstützung finden. Heute geht es um die Würde der Nation, um Deutschlands Zukunft, Rettung und Freiheit. In dieser Stunde der höchsten Gefahr ist es für alle deutschen Stämme selbstverständliches Gebot, sich um die RReg. zu scharen und ihr auf ihrem schweren Gange heute zur Seite zu stehen. Das bayerische Volk ist bereit, im Kampfe gegen die Schmach, die französische Herrschsucht und Raubgier uns antun will, und in der Zurückweisung des unerhörten Zwanges, der unserem wehrlosen Volke auferlegt wird, mit der RReg. bis zum Letzten durchzuhalten. In Bayern hofft man zuversichtlich, daß die RReg. auch durch den stärksten Druck von außen in ihrem Entschlusse nicht wanken wird, sondern fest bleibt. Heute darf es in allen deutschen Landen nur eine Losung geben: Deutschlands Zukunft und Gedeihen, die Reichseinheit über Alles.“ (R 43 I/2327, Bl. 184).
- 10
In München kam es in der Folgezeit zu heftigen Demonstrationen gegen die Vertreter der IMK. Die Ententeoffiziere wurden in den Hotels vielfach nicht mehr bedient und planmäßig boykottiert. Der Vors. der IMK, Nollet, beschwert sich darüber mit Schreiben vom 27. 1. (R 43 I/416, Bl. 26 f.).
- 11
Erklärung des PrMinPräs. vor dem LT vom 10. 1. in Schultheß 1923, S. 7 f.
- 12
Erklärung der Sächs. Reg. vom 11. 1. in Sächs. LT-Protokolle 1922/23, 1. Bd., S. 158 f.